Sozialgeschichte.

Sozialgeschichte.
Sozialgeschichte.
 
Die Sozialgeschichte in der Bundesrepublik Deutschland entwickelte sich seit den späten 1960er-Jahren aus einer Theoriediskussion (u.a. zu K. Marx und M. Weber) mit dem Revisionsanspruch, die historische Analyse von Gesellschaft und Wirtschaft nicht länger zu vernachlässigen und sie, angeregt durch Soziologie, Ökonomie und Politikwissenschaften, der noch fest etablierten traditionellen Ideen- und Politikgeschichte entgegenzusetzen. Insofern stand eine emanzipatorische Sozialgeschichte für ein historiographisches Programm; sie war einerseits die Geschichte einer Dimension der historischen Wirklichkeit, die Geschichte sozialer Strukturen, Prozesse, Handlungen und Bedeutungen; sie war andererseits ein ambitionierter Zugriff auf die allgemeine Geschichte von einer sozialhistorischen Perspektive aus; als solche ist Sozialgeschichte »Gesellschaftsgeschichte«. Die Sozialgeschichte ist seit längerem in Erweiterung begriffen; sie veränderte sich mit der Verarbeitung produktiver Herausforderungen: der sich erneuernden Politikgeschichte, der Frauen- und Geschlechtergeschichte, der Mentalitäts- sowie der Alltagsgeschichte (1980er-Jahre), schließlich der neuen Kulturgeschichte (1980er-/1990er-Jahre). Angesichts der Distanzierungen in der Zeit der Anfänge wirkten die Enthüllungen auf dem 42. Deutschen Historikertag in Frankfurt am Main (1998), zur Verstrickung von »Gründervätern« der bundesdeutschen Sozialgeschichte in den Nationalsozialismus fast wie ein Schock.
 
Die ältere Sozialgeschichte erfuhr durch G. von Schmoller, K. Lamprecht und O. Hintze bedeutende Anstöße und erlangte mit M. Webers Forschungen (»Wirtschaft und Gesellschaft«, 1922) universalhistorische Weite. Bahnbrechend wirkten der Belgier H. Pirenne sowie die französische École des Annales (v.a. M. Bloch, L. Febvre, F. Braudel), seit den 1960er-Jahren aber auch H. Rosenberg, E. Hobsbawm, später N. Elias.
 
 
Soziologie u. S., hg. v. P. C. Ludz (1972);
 J. Kocka: S. Begriff, Entwicklung, Probleme (21986);
 
S. in Dtl. Entwicklungen u. Perspektiven im internat. Zusammenhang, hg. v. W. Schieder u. V. Sellin, 4 Bde. (1986-87);
 
S. im internat. Überblick, hg. v. J. Kocka (1988);
 P. Burke: Offene Geschichte. Die Schule der »Annales« (a. d. Frz., 1991);
 D. Claessens: S. für soziologisch Interessierte (1995);
 W. Hardtwig u. H.-U. Wehler: Kulturgeschichte Heute (1996).
 
Zeitschriften: Vjschr. für Sozial-Wirtschaftsgesch. (1903 ff.);
 
Gesch. u. Gesellschaft (1975 ff.).

Universal-Lexikon. 2012.

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